DIE DAME DER 20ER JAHRE – DIE WELT IST EINE BÜHNE
In meinem neuen Bühnenprogramm MONDÄN – DIE DAME DER 20ER JAHRE spiegele ich die 1920er Jahre mit den heutigen Zwanzigern. Ich möchte die Welt, so wie sie sich dreht, auf die Bühne bringen und gehe mit der Bühne in die Welt.
Dabei stellt sich mir die Frage: Wie verhält sich eine echte Dame in einer Zeit des Umbruchs, in der eine buchstäbliche Atemlosigkeit und eine bleierne Schwere sich die Waage halten?
MONDÄN – DIE DAME DER 20ER JAHRE ist sicherlich das bislang persönlichste aller meiner Bühnen-Programme. Ich wage es, nicht nur als Bühnenfigur, sondern auch als ich selbst in den Spiegel zu blicken. Nach dem ersten Blick ins eigene Antlitz gelange ich in die Welt hinter der Spiegeloberfläche, und da bin nicht nur ich, sondern da ist die ganze Welt auf einer einzigen Bühne in jeder Sekunde von heute, einst und morgen gleichermaßen.
Die Dinge, auf die es ankommt, und auch die Dinge, über die man schon immer den Kopf schüttelt, bleiben dieselben. Die Menschen sind dieselben.
Man rennt und rennt und kommt nicht vorwärts, ist nachtaktiv wie der Hamster in seinem Rad, ohne eine Satisfaktion durch all die Mühe zu erlangen. Und doch bewegt sich alles weiter und es passieren Dinge wie von selbst. Man wacht auf und reibt sich die Augen. Wo ist die Welt hin, wie ich sie noch vor zwei Jahren kannte?
Ein neues Bühnenprogramm zu planen und zu gestalten, es dann wirklich auf die Bühne zu bringen und es gemeinsam mit dem Publikum schließlich zum Leben zu erwecken, bedeutet in diesen Zeiten noch einmal etwas ganz anderes für mich, als es sonst in meiner bisherigen Zeit als Bühnenkünstlerin der Fall war. Es ist eine ganze Dimension hinzu gekommen.
Mehr denn je bin ich mir über die Bedeutung dessen bewusst, was ich auf der Bühne mache, und niemals in meinem Leben erschien es mir so gleichermaßen obsolet wie wertvoll, Künstlerin zu sein, die Kultur so geschätzt und so missachtet gleichermaßen.
Wir Künstler und Künstlerinnen reflektieren auf einer anderen Ebene die Welt und das Leben. Wir schaffen den Traum, eine Wirklichkeit für einen Abend, die gleichzeitig die reale Welt verarbeitet, um dann manchmal nahtlos, manchmal brutal in die Lebensrealität überzuleiten, in die hinein man erwacht.
Wenn ich heute an einem neuen Bühnenprogramm arbeite, in Anbetracht dessen, was wir nun seit anderthalb Jahren erleben, ist der Galgenhumor und das Herz für die Kultur und die Menschen das, was mich trotz alledem antreibt weiterzumachen – schließlich bin ich meinem Ethos als Künstlerin und als mondäne Dame verpflichtet.
Als moderne Frau steht man dem Etikett Dame wohl eher argwöhnisch gegenüber.
Dieser Begriff kommt doch sehr altmodisch daher.
Ich aber finde ihn wunderbar, denn eine echte Dame ist für mich die moderne Frau par excellence. Selbst wenn sie – dem äußeren Rollenbild entsprechend – vornehm und zurückhaltend ist, so ist sie das nicht, weil sie muss, sondern weil sie es will und kann.
Die Dame verfügt über eine innere Reife, die über banale Reaktanz erhaben ist. Reife haben, heißt auch, sich selbst wirklich zu kennen.
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Die Dame stellt sich und ihre Bedürfnisse nicht in den Vordergrund, denn sie empfindet keinen Mangel, den sie auszugleichen sucht. Für eine echte Dame ist ein lustvolles, verspieltes Leben kein Widerspruch zu Verantwortung und Ernsthaftigkeit. Lasterhaftigkeit und Frivolität sind ein Spiel, das sie zu spielen weiß, wann, wo und mit wem sie will, das sie aber nur spielt, wenn sie Lust dazu hat und es ihr gerade angemessen erscheint und wenn die anderen freudig mitspielen. Hat sie keine Lust, denn meistens hat sie Wichtigeres zu tun, spielt sie eben nicht – sondern sie kümmert sich.
Die Dame ist modern und mondän. Ihre Weltläufigkeit hängt sie nicht an die große Glocke, denn die ist für sie eine Selbstverständlichkeit. Sie setzt die Erfahrung ein, die sie gesammelt hat, ist präsent und aufmerksam, mit einem munteren Interesse an der Welt um sie herum.
Die Dame trifft ihre Entscheidungen nach sachlichen Kriterien, jedoch intuitiv, und die Dame hat die Superfähigkeit, die der Menschheit das Überleben sichert – sie ist fähig zur Veränderung, zur Weiterentwicklung. Sie ist wie ein freier Flusslauf, der nicht begradigt wurde und andernfalls genau dort über die Ufer träte, wo man am meisten versucht hat, die Naturgewalt zu bezähmen. Sie ist frei und entfaltet sich als wilde, reißende Wassermasse, oder sie schmiegt sich sanft und ruhig ans Ufer, wo es ihr gefällt.
Die wahre Dame sucht nicht den Exzess und die Selbstzerstörung, wozu sich noch manch ein Flappergirl hinreißen ließe, sondern sie liebt die Selbstdisziplin und Struktur als Geheimzutaten der Freiheit. Gleichzeitig ist die Dame aber überaus genussfähig und lustvoll.
Die mondäne Dame ist kurz gesagt die ideale Superfrau – kein leichtes Unterfangen, aber wo wären wir, wenn man es nicht wenigstens versucht?
Ist das nicht ein perfektes Rollenbild?
Falls der moderne Herr nach einem männlichen Pendant sucht, so ist dies natürlich der Gentleman. Denn ja, meine lieben Herren, hier möchte ich nicht nur die weibliche Leserschaft ansprechen.
„Ich bin eine Frau, die weiß, was sie will. Ich habe mein Tempo, ich hab’ meinen Stil“, singt Superstar Fritzi Massary in der Revue Eine Frau, die weiß, was sie will am Metropoltheater in Berlin, wo auch schon die Jahresrevue zum Jahreswechsel 1910/11 Hurra, wir leben noch! von Rudolph Nelson mit ihr in einer Hauptrolle aufgeführt wurde.
Fritzi Massary ist für mich der Innbegriff einer Dame von Format. Elegant, talentiert und eloquent. Sie nimmt kein Blatt vor den Mund, ist furchtlos, unbescheiden, pragmatisch und zielgerichtet, und dabei wahnsinnig kapriziös und glamourös. Warum sollte man sich entscheiden, was man sein und tun will, wenn man doch das Format hat, alles auf einmal zu sein, und zu allem fähig? Das schien ihr Credo zu sein.
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Auch Dorothy Parker findet Einzug in MONDÄN – DIE DAME DER 20ER JAHRE, in Gestalt meiner fiktiven Freundin Dotti. Als eine Dame, die in die High Society der Metropole New York hineingeboren wurde, durchschaut sie als gnadenlose Chronistin des New York der 1920er Jahre die Bigotterie, die Hässlichkeit menschlicher Seelen hinter einer Fassade, in der sich jeder selbst der Nächste ist, und zerreißt sie in Zeitlupe auf süffisant-bissige Art und Weise und zum großen Vergnügen Ihrer Leserschaft in der Luft. Ihr Angewidertsein über die Verkommenheit der Menschen schlägt bei ihr in eine lustvolle Aggression und Scharfzüngigkeit über, in der alle ihr Fett wegbekommen, nach dem Motto: „Das Leben ist nicht einfach nur schrecklich, sondern schrecklich schrecklich mit Rosinen drin.“
Man könnte sich jeden Tag das Leben nehmen, aber es ist einfach zu anstrengend.
„Rasiermesser ritzen, Flüsse sind nass. Säuren spritzen. Drogen – machen zu viel Spaß. Verboten sind Pistolen, ein Seil will mir niemand geben. Gas riecht so verstohlen. Dann bleib halt am Leben!“
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Mein Lieblingsschriftsteller Joseph Roth, einer der bedeutendsten Chronisten des Berlin der Weimarer Republik, darf in diesem Programm auch nicht fehlen. Ihn verehre ich vor allem dafür, wie er, zum Beispiel in seinen Spaziergängen durch Berlin, mit sachlichem Blick beschreibt, wie er die Welt um sich herum wahrnimmt, und mit jedem Satz doch immer schon ein Stück Lyrik hervorbringt.
Das Antlitz der Zeit ist zernichtet. Das Leben zerlebt. Häßlich ist sie, die Zeit. Aber wahr. Sie läßt sich nicht malen, sondern photographieren. Ob sie wahr ist, weil sie häßlich ist? Oder häßlich, weil wahr?
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In seiner von den Idealen des Journalismus geprägten Sprache im Stil der neuen Sachlichkeit macht Joseph Roth die Atmosphäre und die Figuren in der Zeit der Weimarer Republik lebendig.
In seinen Romanen und Erzählungen hat er die Melancholie über den unwiederbringlichen Verlust, von dem, was war, und dem, was hätte sein können, aber nicht sein darf, und über die Unüberwindbarkeit der menschlichen Unzulänglichkeit zum Weinen schön beschrieben.
Frauen wie Männer – bei Jospeh Roth sind alle Antihelden, aber sie sind echt und von absoluter Schönheit. Seine Frauenfiguren sind keine Damen. Sie versagen ebenso oft wie die Männer am Leben und offenbaren in dieser Unzulänglichkeit doch so sehr die Schönheit ihrer zerbrochenen Herzen.
Vielleicht sind sich Joseph Roth und Fritz Grünbaum einmal begegnet, zum Beispiel im Romanischen Café – auch eine Szenerie in meinen Programm MONDÄN – DIE DAME DER 20ER JAHRE – das Romanische Café! Treffpunkt der Literaten im „Schwimmerbassin“ und der dazugehörigen Groupies im „Nichtschwimmer“.
… Denn wenn man drei Stunden gewartet schon hat, und man war noch nicht dran, und man hat es schon satt,
dann gestattet die Post – und das find’ ich so schön –
bevor man noch dran war, man kann wieder gehn!
… Also nimmt man den Brief, klebt die Marke darauf, und dann geht man nach Haus, und da hängt man sich auf.
Galgenhumor war seit jeher das einzige Mittel, um wenigstens noch die Selbstachtung zu wahren, vor allem in Situationen, in denen ansonsten nichts mehr zu retten ist.
Eines ist doch völlig klar – Humor und Emotionen, all das, was jenseits der Sachlichkeit, jenseits aller Kalkulationen und Bilanzen das Leben ausmacht, kurzum: die Kultur, sie ist der Rettungsanker, wenn die Vernunft erschöpft ist von all dem Vernünftigsein.
Was ist aus den Superstars von damals, aus Joseph Roth, Fritz Grünbaum, Dorothy Parker und Fritzi Massary geworden?
Dorothy Parker hat sich nicht in Selbstmitleid ergeben, obwohl sie an der Welt verzweifelte.
Sie hat sich vielmehr zeitlebens für die Gleichberechtigung der Frau eingesetzt und gegen den Rassismus, und hat ihr Vermögen sogar schließlich Martin Luther King und der National Association for the Advancement of Colored People vermacht.
Joseph Roth schrieb am Tag seiner Emigration, einen Tag vor der Machtergreifung Hitlers, an seinen Freund Stefan Zweig im Januar 1933:
„Inzwischen wird es Ihnen klar sein, daß wir großen Katastrophen zutreiben. Abgesehen von den privaten – unsere literarische und materielle Existenz ist ja vernichtet – führt das Ganze zum neuen Krieg. Ich gebe keinen Heller mehr für unser Leben. Es ist gelungen, die Barbarei regieren zu lassen. Machen Sie sich keine Illusionen. Die Hölle regiert.“
1939 starb Roth im Pariser Exil, seine Frau Friedel Reichler endete nach einer Odyssee durch verschiedene Nervenheilanstalten schließlich in der Gaskammer der NS-Tötungsanstalt Hartheim.
Fritz Grünbaum ist im Konzentrationslager Dachau ermordet worden. Seinen Galgenhumor hat er sich aber bis zum Schluss bewahrt, sein Äußeres war gebrochen, doch sein intelligenter Witz trifft noch heute ins Schwarze.
Fritzi Massary die bestbezahlte Bühnenkünstlerin ihrer Zeit, schaffte die Flucht vor den Nazis, konnte aber nie mehr an ihre Karriere anknüpfen.
Das Wissen über diese Schicksale und noch so viele Millionen weitere, über das Leid, das sich bis heute fortsetzt, über die ungeheuerlichen Vorkommnisse, von denen man auch heute fast täglich erfährt, ist schwer zu ertragen. Es scheint eine untragbare Last, die Welt zum Guten verändern zu wollen.
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Doch das, was auf die Weimarer Republik folgte, Leid und Zerstörung in unbegreiflichem Ausmaß, war unentrinnbar, ist nicht mehr ungeschehen zu machen. Wir können das Rad der Zeit nicht zurückdrehen. Aber heute haben wir doch noch alle Trümpfe in der Hand! Wir müssen sie aber auch spielen!
Die Schwierigkeit liegt darin, wieder alle Spieler an einen Tisch zu bekommen, sich auf dieses eine Spiel zu konzentrieren, das Leben in seiner Essenz zu fassen zu bekommen.
Fast sieht es so aus, als käme die Gefahr nur von außen und man müsste sich einfach nur schützen und wehren.
Aber heute gilt es, darüber nachzudenken, wie es in unserem Inneren aussieht, was wir selber mit unserer Freiheit anfangen wollen – und mit der Verantwortung, die sich aus dieser Freiheit ergibt. Nehmen wir sie an? Die Freiheit und die Verantwortung?
Wir alle müssen uns mit den essenziellen Fragen des Lebens auseinandersetzen, das richtige Tempo dafür finden und dabei nicht vergessen, das Leben einfach um des Lebens selbst willen zu leben und möglicherweise sogar zu genießen.
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Wenn einen manchmal Lethargie und Selbstmitleid zu packen drohen, hilft immer der einfach geniale Spruch von Erich Kästner: „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“ Und das Tun fängt mit dem Nachdenken an. Aber Achtung, dass Du dich nicht in einer Spirale des Denkens verlierst, während Du schon längst hättest etwas unternehmen können, das für Dich zu tun ist.
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Man tue, was man tun kann. Und wenn man das erledigt hat, suche man sich die kleinen Inseln, auf denen man verschnaufen kann und schätze sich glücklich, liebe Menschen um sich herum zu haben.
Wir Menschen, die in der Kultur ihr Zuhause haben, sind in diesen Zeiten noch einmal auf andere Weise darauf zurückgeworfen, uns auf den Kern unseres Daseins zu konzentrieren und alles zu hinterfragen. Uns damit auseinanderzusetzen, was uns ausmacht, was uns, jedem Einzelnen von uns, wichtig ist und etwas bedeutet. Was wir an anderen schätzen und wogegen wir uns abgrenzen wollen. Dazu sind wir gezwungen, und wir tun auch gut daran.
Ich betrachte es als unsere Aufgabe, als Menschen und im Besonderen als Künstler.
Wir alle haben die Wahl, ob wir das schwere Paket, das wir tragen, abnehmen und einfach in den nächsten Fluss werfen oder es ungeöffnet wieder auf den Buckel packen und weiterlaufen. Oder wir packen es aus und betrachten den Inhalt, auch wenn es weh tut, etwas möglicherweise sehr Kaputtes dabei zu entdecken.
Und dann hilft vielleicht Wabi sabi – わびさび, die japanische Kunst und Philosophie. Dinge die zerbrochen sind, wirft man in Japan nicht einfach weg, sondern man kittet sie mit großer Sorgfalt und mit purem Gold. So kommt zu ihrem reinen Zweck noch eine besondere Schönheit hinzu, denn dann bekommen die Dinge eine Geschichte.
Das ist es was ich in MONDÄN – DIE DAME DER 20ER JAHRE auch mit den Geschichten der Menschen mache. Ich füge sie zusammen mit Musik, mit Humor, mit purem Gold.
Wann ich dann wirklich Premiere mit diesem Programm feiern darf, weiß ich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht, aber als echte Dame wahre ich meine Zuversicht.
Auch in diesen Zeiten ist alles möglich.
Kürzlich haben wir unser Nachbarskind getroffen. Sie erzählte uns, dass sie genau weiß, was sie später einmal werden will: eine berühmte Schauspielerin, eine Zauberin, eine Ballerina und Weinkönigin, und zwar all das auf einmal. Für eine echte Dame – kein Problem!
Die Welt ist zwar aus dem Lot, aber sie ist noch nicht verloren. Und so ist es in diesen Zeiten auch nicht vergebens, stets die Haltung zu bewahren, eine echte Dame, ein echter Gentleman zu sein.
Wenn es Euch gefallen hat, freue ich mich, wenn Ihr beim nächsten Mal wieder dabei seid in EVI’s SÉPARÉE. Schon allein dafür lohnt sich jederzeit ein Besuch auf unserer Website www.mg-showcompany.com. Da dürft Ihr Euch auch gerne in den nagelneuen Newsletter eintragen, um keine Showtermine oder Séparées mehr zu verpassen. Ihr dürft uns auf Facebook und Instagram besuchen und natürlich in unserem Shop stöbern und dort zum Beispiel unser Album GLANZ AUF DEM VULKAN erwerben. NEU und LIVE!
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Wir wünschen Euch allen ein wunderbares, gesundes, erfolgreiches neues Jahr voller Liebe und Freude! Happy Holidays und Happy New Year! Snovem Godem! Im nächsten Jahr wird alles besser!
Habt einen wunderbare Zeit, aufregende Nächte, und immer schön gesund und munter bleiben.
Gruß & Kuss
Eure Evi